Virtuelle Mitarbeiterbeteiligungen (VSOPs) haben sich in den letzten Jahren als beliebtes Instrument etabliert, um Fachkräfte langfristig an ein Unternehmen zu binden und sie am Unternehmenserfolg zu beteiligen. Gerade in Start-ups und wachstumsorientierten Mittelständlern sind sie ein wichtiger Bestandteil moderner Vergütungssysteme geworden. Beteiligungsprogramme fördern Identifikation, Motivation und Unternehmertum im Team – sie machen Mitarbeitende zu Mit-Unternehmer:innen.
Doch was passiert mit diesen virtuellen Anteilen, wenn Mitarbeitende das Unternehmen auf eigenen Wunsch verlassen?
Bis vor Kurzem war es in Deutschland gängige Praxis, dass Mitarbeitende bei Eigenkündigung vor Ablauf eines bestimmten Mindestzeitraums als sogenannte Bad Leaver eingestuft wurden – mit weitreichenden Folgen. Auf Basis der Vertragsfreiheit konnten Unternehmen also festlegen, dass auch bereits erdiente (gevestete) Anteile vollständig verfallen, wenn der Mitarbeiter vor Ablauf dieser Mindestperiode das Unternehmen verlässt. Wer für seine virtuellen Anteile nichts bezahlt hat, sollte bei einem freiwilligen Ausscheiden auch leer ausgehen – selbst wenn die Anteile bereits verdient waren.
Diese Praxis wurde von vielen Unternehmen als legitimes Mittel gesehen, um Mitarbeitende langfristig zu binden und spontane Abgänge zu verhindern.
Mit dem Urteil vom 19. März 2025 (Az. 10 AZR 67/24) hat das Bundesarbeitsgericht die bisherige Praxis neu bewertet. Ausgangspunkt war eine Klage im Zusammenhang mit einem virtuellen Mitarbeiterbeteiligungsprogramm, bei dem einem Mitarbeitenden nach Eigenkündigung alle gevesteten Anteile entzogen wurden.
Das BAG entschied: Eine solche Regelung stellt eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB dar. Mitarbeitende dürfen nicht allein deshalb als Bad Leaver behandelt und um ihre verdienten Ansprüche gebracht werden, weil sie selbst kündigen.
Auch wenn sich das Urteil konkret auf VSOPs bezieht, hat es über den Einzelfall hinaus Bedeutung: Die Grundsätze lassen sich auf reale Anteile in echten ESOPs übertragen – überall dort, wo standardisierte Leaver-Klauseln Bestandteil eines Arbeits- oder Mitarbeiterbeteiligungsvertrags sind.
[Mehr zur rechtssicheren Gestaltung von VSOP-Verträgen erfahren Sie in unserem Artikel: „Faire Gestaltung von ESOP und VSOP: Was müssen UnternehmerInnen beachten?“]
Auch wenn die Naked In – Naked Out-Logik nicht mehr zulässig ist, gibt es weiterhin Möglichkeiten, Mitarbeitende langfristig ans Unternehmen zu binden – ohne gegen geltendes Recht zu verstoßen. Zwei erprobte Alternativen sind:
[Wie Leaver-Klauseln konkret aussehen können, erläutern wir in unserem Beitrag: „Ausstieg von beteiligten Mitarbeitern: Bad Leaver vs. Good Leaver“]
Über die Wahl der Leaver-Kategorie hinaus sollten Unternehmen jetzt dringend bestehende Mitarbeiterbeteiligungsverträge überprüfen und überarbeiten. Besonders kritisch ist dabei, dass Eigenkündigungen vor Ablauf einer Mindesthaltedauer nicht mehr automatisch zum vollständigen Verlust aller Anteile führen dürfen. Auch sogenannte Devesting-Regelungen müssen verständlich formuliert sein und in einem ausgewogenen Verhältnis zur ursprünglichen Vesting-Periode stehen.
Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, die Systematik der Vergütung insgesamt zu überdenken: Eine stärkere Trennung zwischen Treuekomponenten (z. B. virtuelle Anteile) und leistungsabhängigen Vergütungen (Gehalt, Boni) könnte für mehr Klarheit sorgen. In einem solchen Modell wären virtuelle Anteile vollständig vom Gehalt entkoppelt – das hätte zur Folge, dass etwa auch während eines unbezahlten Urlaubs das Vesting weiterläuft.
Die Zeiten, in denen Unternehmen bei Eigenkündigung pauschal auf Bad Leaver-Klauseln und Naked In – Naked Out setzen konnten, sind vorbei. Das aktuelle BAG-Urteil vom März 2025 macht deutlich: Bereits erdiente Beteiligungen dürfen nicht ohne Weiteres entzogen werden. Unternehmen sollten deshalb nicht nur ihre Leaver-Klauseln anpassen, sondern ihre gesamte Beteiligungsstruktur überdenken – insbesondere mit Blick auf Transparenz, Fairness und langfristige Bindung. So lassen sich rechtliche Risiken minimieren und gleichzeitig motivierende, moderne Beteiligungsprogramme gestalten.
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